Zum Tag der Seenotrettung: Keine Rettung in Sicht
Seit der vergangenen Nacht treiben zwei Boote in unmittelbarer Seenot in der maltesischen Such- und Rettungszone. In eines der beiden Boote mit 45 Menschen an Bord, dringt bereits Wasser ein. Das andere mit 95 Menschen ist in Sichtweite eines Handelsschiffes. Die Küstenwachen von Italien wurden durch die NGO Alarm Phone über die Notfälle informiert, bisher wurde keine Rettung eingeleitet. Alle zivilen Seenotrettungsschiffe liegen mit einem Fahrverbot oder beschlagnahmt in italienischen Häfen fest.
Es ist der 26. Juli 2020, Tag der Seenotrettung und die EU kneift die Augen zu und hindert jene, die das nicht hinnehmen, daran, es anders zu tun!
Zivile Seenotrettung lahmgelegt
Vergangenen Donnerstag entschieden italienische Behörden, dass die „Ocen Viking“ von „SOS-Mediterranee“ als letztes aktives Seenotrettungsschiff nicht in einen neuen Einsatz aufbrechen darf.Allein in dieser Woche wurden mindestens fünf Seenotfälle bekannt; erst gestern wurde ein Boot aus maltesischen Hoheitsgewässern von libyschen Milizen in das Bürgerkriegsland Libyen zurückgeschleppt.i Das ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht! Der Mensch hat Recht auf Flucht an einen sicheren Hafen und Libyen ist nicht ein solcher Ort.
5.650 Flüchtende wurden laut dem UNHCR seit Januar von der EU finanzierten, sogenannten „libyschen Küstenwache“ im zentralen Mittelmeer gerettet und in das Bürgerkriegsland zurück geführt. 2019 waren es im selben Zeitraum noch 3,982ii was bereits einen deutlichen Anstieg gegenüber 2018 darstellte. Sea-Watch berichtet in einem monatlichen Report ihrer Aufklärungsflüge alleine im Juni von 21 gemeldeten Seenotfällen. 7 davon wurden nach Libyen gebracht, einer nach Tunesien durch die dortige Küstenwache, der Ausgang von vier Fällen ist unklar.iii
Mit der Ausbildung und materiellen Unterstützung dieser „libyschen Küstenwache“ geht die Strategie der EU auf, den Flüchtenden ihren Weg schon vor den Außengrenzen abzuschneiden. Ein Vorgehen was künftig auch bei der tunesischen Küstenwache verfolgt werden wird. Mit 3,9 Millionen Euro will sich Deutschland ab 2022 an der Ausbildung und dem Ausbau der Tunesischen Küstenwache beteiligen um die Seegrenzen in Richtung Italien zu schützen. Verschiedene bilaterale Abkommen bestehen bereits jetzt.iv
Das Netz wird enger. Wir sind nicht überrascht darüber, aber schämen uns zutiefst für dieses unsägliche Vorgehen. Oder wie es eine Aktivistin von Sea-Watch ausdrückt auf die Frage ihres Vaters, ob sie stolz auf ihren letzten Einsatz sei:
»Nein, Papa, ich denke nicht, dass ich stolz auf mich bin. Die Wahrheit ist, ich habe mich noch nie so sehr geschämt. Ich war noch nie so wütend.Humanitarismus sollte nicht mein Kampf sein. Oder der von irgendwem anders.«
Sophie-Anne – (Guest Coordination auf der Sea-Watch 3)
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